Vermutlich kennen viele die Vorstellung des „Melting Pot“ aus den USA. Das erste Mal wurde der Begriff 1782 von Hector St. John de Crèvecoeure in „Letters from an American Farmer“ verwendet. Die USA haben sich bekanntlich aus Menschen geformt, die zum größten Teil aus anderen Ländern, gerade europäischen, nach Amerika auswanderten. Deshalb finden wir in den Vereinigten Staaten eine Pluralität aus kulturellen und religiösen Hintergründen vor. Es bildeten sich schnell zwei Vorstellungen von dieser Zusammensetzung. Eine ist der zuvor erwähnte „Melting Pot“. Wenn man in einem Schmelztiegel verschiedene Materialien zusammenfügt und diese erhitzt, verlieren sie ihre ursprüngliche Form und vermischen sich zu etwas Neuem. Dieses Bild beschreibt, dass viele verschiedene Nationalitäten zusammengekommen und in einem „Pot“ zu einer neuen Kultur verschmolzen sind. JedeR gibt also einen Teil seiner/ihrer eigenen Kultur auf und bekommt dafür eine neue. Ein anderes Bild, das in den USA existiert, ist die „Salad Bowl“, die Salatschüssel. In einer Schüssel voll Salat finden wir verschiedene Inhalte vor. Wir erkennen noch die einzelnen Bestandteile, dennoch sind sie zu einer Art Einheit verschmolzen. Diese Vorstellung übertrug man auch auf die Bevölkerung der USA: die Menschen in den USA haben noch ihre eigene Kultur und diese ist noch klar zu erkennen, aber alle bilden gemeinsam die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese beiden Bilder wurden zum Motiv vieler politischer Reden und zum Erfolgskonzept der Identifikation.
Ein veraltetes Konzept?
Heute kommt in den USA immer wieder die Frage auf, ob sich das Prinzip des „Melting Pot“ nicht schon längst überlebt hat. Es gibt immer wieder Momente in der amerikanischen Geschichte, in denen man dieses alte Prinzip wieder vorfindet. Zum Beispiel als Osama Bin Laden im Mai 2011 von Navy Seals der USA gefunden und erschossen wurde. Die Menschen vereinten sich auf den Straßen in den Staaten und feierten den vorläufigen Sieg über den Terrorismus. Ob dies der richtige Zeitpunkt ist, den „Melting Pot“ wieder auszugraben, während er im Alltag kaum mehr auffindbar ist, ist natürlich etwas fragwürdig. Dennoch gibt es dieses Gefühl der Einigkeit noch.
Was ist Europa?
Europa bestand bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges aus vielen kleinen Einzelkämpfern, die lediglich eine geographische Einteilung gemeinsam hatten. Das änderte sich mit der Einführung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1950. Zu diesem Zeitpunkt wurde etwas vollkommen Neues geschaffen: ein Handelsabkommen, das weltweit das erste in dieser Form war und später das Europa werden sollte, das wir kennen, in dem wir leben und das mittlerweile 27 Mitgliedstaaten umfasst. Diese Vereinigung wuchs in den letzten Jahren so rapide, dass man kaum mitkam, die neuen Mitgliedstaaten auswendig zu lernen. Geschweige denn sich mit einem gemeinsamen Nenner zu befassen, der uns als EuropäerInnen verbindet.
Gibt es etwas, was wir in Europa als „Melting Pot“ bezeichnen könnten? Der Euro ist etwas, das viele von uns gemeinsam haben. Aber lange nicht alle: Zehn Jahre nach Einführung des Euros gibt es noch immer EU-Mitglieder, die an ihrer ursprünglichen Währung festhalten. Abgesehen davon ist es in den USA mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht nur der Dollar, der den „Melting Pot“ prägt und auszeichnet. Aber was sind wir? Was vereint uns?
Ich habe viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu diesem Thema befragt. Darunter sind PolitikerInnen aus dem Deutschen Bundestag und dem Europäischen Parlament. Außerdem VertreterInnen christlicher Organisationen aus Deutschland. „Geeint in Vielfalt“ ist Konsens bei allen Befragten. Europa ist also absolut kein Melting Pot. Jasmin Meister, Vorsitzende der Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau, spricht von einem Prozess, der irgendwann einmal einem Melting Pot entsprechen könnte. Allerdings seien wir noch lange nicht soweit, da uns gerade diese Vielfalt oft trennt. Sie trennt uns zum Beispiel bei der derzeitigen Euroschuldenkrise.
Europa ist kein „Melting Pot“. Wir können keiner sein, weil keiner seine eigene Identität in Europa verliert. Wir sind viel mehr als ein „Melting Pot“ oder eine „Salad Bowl“. Wir sind eine Wirtschafts- und Währungsunion. Wir sind eine Region, die zwei Weltkriege und den eisernen Vorhang überstanden hat. Wir sind eine soziale Gemeinschaft. Wir sind ein Europa, das mit Aufgaben schon immer gewachsen ist und noch weiter wachsen wird. Wir sind ein Garant für Frieden und wir sind die Zukunft.
Theresa, 21, Deutschland